Der Kulturnomade zieht los.
„Kulturnomade“ Philip Hiersemenzel wird von seiner Frau zu allerlei Kunst, Kino und Kulturveranstaltungen geschleppt. Da er eigentlich Autor ist, führt er von nun an regelmäßig Buch. Oder probiert es zumindest. Ab heute berichtet er über seine niemals endende Rundreise durch Kunst, Kino und Kultur hier im Blog von .Transform. Los geht's heute und in den nächsten Tagen mit einem Rückblick auf die Stationen im März.
Der März war eigentlich ganz ruhig...
Jedenfalls für mich vorgeblichen Kulturnomaden: Nur einmal Kino (Die Verlegerin, großartig, unbedingt sehen!), nur zwei mal Konzert - davon eines mit Lesung (aus dem neuen Buch von Ferdinand von Schirach, ebenfalls ganz großes Kino!) - nur fünf Mal Kunst/Museen (ganz toll: Lawrence Carroll: As the Noise Falls Away, Klosterkirche Unser Lieben Frauen in Magdeburg, ebenfalls sehenswert, wenn mittlerweile auch wieder in Heidelberg: italienische “Outsider Art” in der Galerie Parterre im P’berg).
Ok, immerhin waren wir (meine Frau ist die eigentliche Kuturnomadin, kommt aber vor lauter Schauen nicht zum Schreiben) vier mal in der Oper. Ebenso oft waren wir im Theater, wobei das, was am "wenigsten" Theater war, am besten gefiel: "Staat I" von Rimini Protokoll im Neuen Museum.
Los ging’s mit der “Verlegerin”: Eine Großartige Rekonstruktion der Veröffentlichung der “Pentagon Papers” (Nein, nicht die Watergate-Affäre. Die war später) durch das damalige Lokalblatt (vergleichbar mit dem heutigen Berliner Tagesspiegel) Washington Post. Zunächst zögerlich, aber dann umso standhafter gestützt von Verlegerin Katherine Graham, die ihr Vermögen und eine mögliche Gefängnisstrafe für die Pressefreiheit riskiert. Und sich gleichzeitig in einer unglaublich patriarchalischen Welt behaupten muss. Ein MUSS, gerade heute.
Ein dezidiertes KANN war dagegen “Salome” in der Staatsoper. Die Premieren in der Staatsoper scheinen seit Wiedereröffnung des unglaublich unpraktischen Wowi-Barenboim-DDR-Platisk-Protz-Kitsch-Palasts zur “Bunte”-Must-be-seen-Events geworden zu seien. In den Pausen tauschen sich kulturfremde, aber teuer gekleidet/geliftete Damen (und Herren) über Belanglosigkeiten aus und ergehen sich ansonsten in sich selbst. Die gefällige Inszenierung von Richard Strauß’ Salome passte also bestens.
Viel spannender war da das “Casual Concert” des Deutschen Sinfonieorchesters. Wer die Reihe nicht kennt, sie ist genau das, was drauf steht: Ein “legeres” Konzert. Im großen Saal der ehrenwerten Philharmonie herrscht freie Sitzwahl. Musiker und Dirigent erscheinen in Straßenkleidung, hinterher gibt’s anspruchsvollen Elektro-Pop und noch später ein sehr anständiges DJ-Set. Vor allem aber erläutert der Dirigent, in diesem Fall Robin Ticciatti (der neue Chefdirigent des DSO), anschaulich und eindringlich das Gespielte (Vorspiel zu Wagners Parsifal & Requiem von Maurice Duruflé). Orchester, bzw. einzelne Instrument spielten einzelne Partien an, Ticciatti erklärt dazu. Dann spielen sie das Stück einmal durch. Ganz toll.
Ebenfalls sehenswert war “Panikherz” am Berliner Ensemble, die sehr gelungene Theaterfassung des Magersucht-, Alkohol und Drogenselbstbewältigungsbuches des ehemaligen Popliteraten Benjamin von Stuckrad-Barre. Es gibt Leute, die sowas im Allgemeinen, und Stuckrad-Barres Buch im spezielleren, für zu selbstmitleidig und idiosynkratisch halten. Ich (als maximal mittel Süchtiger) fand die Darstellung treffend und eindringlich. Natürlich hat unsere Gesellschaft andere, wahrscheinlich wichtigere, Probleme. Aber eben auch diese. Abgesehen davon ist Stuckrad-Barres Selbstbeschau in vielerlei Hinsicht zeitlos - und piekst nebenbei mit wenigen, aber treffsicheren Worten das Selbstverständnis unserer post-linksliberalen Gesellschaft - bzw. des Publikums empfindlich.
Doch das war erst der Auftakt für unseren Kulturmärz. Fortsetzung folgt...